schneeraben.de - Philosophische Reisevorbereitungen von Thomas H. Jäkel

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Das Skriptorium

 

 

Angst essen Seele auf

von Thomas H. Jäkel

 

 

Wahrscheinlich haben sie jetzt einen längst überfälligen Nachruf auf Rainer Werner Fassbinder oder gar die Neuauflage einer Filmbesprechung erwartet. Indes hat der Titel unter den gegebenen Umständen zu ganz anderen Assoziationen geführt, die jedoch einer gewissen Ähnlichkeit mit der Geschichte von Emmi und Ali in Fassbinder’s Film nicht ganz entbehren.

 

Die Wachablösung hat begonnen und schon reiten sie wieder, die apokalyptischen Reiter, verbreiten Angst und Schrecken und prophezeien den Einbruch des Bösen, Bedrohung, Zerstörung. Schleichende Schizophrenie macht sich breit. Nicht nur bei Fassbinder, sondern auch hier in Thailand können manche das vermeintliche Glück nicht so recht genießen, denn nicht nur große Mächte, sondern auch solche, die sich dafür halten, können gelegentlich untergehen. Das tut besonders dann weh, wenn man sich seit Jahrhunderten so trefflich bemüht hat das eigene Haus sauber und alle bösen Mächte in den Schranken zu halten. Die Rede ist nicht von den „kleinen“ Leuten, denn die hat die Krise natürlich zuerst getroffen und das besonders hart. Im Gegenteil, die Ratten verlassen keineswegs das sinkende Schiff, sondern nagen emsig am Gebälk und haben sich ganz offensichtlich vorgenommen, das Schiff zu säubern und neu aufzubauen. Die einstigen Kapitäne sehen vermehrt dunkle Schatten an den Wänden. Die Wachablösung ist in vollem Gange.

 

Um Thailand zu verstehen muss man schon tiefer gehen als die Kollegen von Newsweek, denn bei allem Unterhaltungswert, den dieser umstrittene Artikel außerhalb Thailands gehabt haben möge, der sich hier im Lande vollziehende Wandel ist ganz offensichtlich nicht erkannt worden. Gehen wir ein Jahrhundert in der Geschichte Thailands zurück als man einst chinesische Händler bewusst ins Land geholt hatte, um so den eigenen Handel aufzubauen. Und da die Chinesen bereits damals dafür bekannt waren, hart zu arbeiten und sich nicht um die Politik zu kümmern, waren diese Fremden auch gerne gesehen. Das war wichtig, denn schon seit der Ayudhaya und Sukhothai Ära war der führenden Schicht in Thailand immer nur die Kontrolle ihres Landes und ihrer eigenen politischen Angelegenheiten wichtig und musste daher um jeden Preis in eigenen Händen gehalten werden. Die Kontrolle und der Einfluss in den Firmen war nicht das vorrangige Anliegen, solange durch Steuern und Abgaben genügend Geld für die Politik erwirtschaftet werden konnte. Das sollte auch so bleiben. Ganz anders musste daher die Einladung an die Europäer formuliert werden. Einerseits eröffneten europäischen Firmen schon damals die Möglichkeit neueste Technologien in Thailand einzuführen. Andererseits war aber auch klar, dass diese Europäer sich ständig ungeniert und unvorhersehbar in die politischen Angelegenheiten anderer einmischen würden. So hat man schon vor langer Zeit entsprechende Regelwerke eingeführt, um dies nicht geschehen zu lassen.

 

Die Idee, selbst zu regieren und andere das Geschäft machen zu lassen, ist so einfach wie bestechend. Verwunderlich ist nur, dass Thailand mit dieser Strategie so lange durchhalten und dabei auch Erfolge verbuchen konnte. Doch wesentliche Industrien, einschließlich der Banken, waren, zumindest bis zum Einbruch der Krise, überwiegend in den Händen der Nachkommen dieser chinesischen Händler, die man einst ins Land geholt hatte. Der Rest steht weitgehend unter japanischer Kontrolle und, soweit nicht europäisch oder amerikanisch, verbleiben eigentlich nur Randbereiche in tatsächlich thailändischer Hand. Doch noch nie hatte eine ausländische Macht direkten Einfluss auf die Politik oder die Führung des Landes nehmen können und so war Thailand selbst auch noch nie eine Kolonie. Sicherlich ist dies vor allem der bekannten thailändischen Diplomatie zu verdanken. Ob diese Nachlässigkeit jedoch von Vorteil war, steht zunehmend in zweifelhaftem Licht, denn noch immer gilt der Grundsatz: wer zahlt, schafft an.

 

Noch bis vor der Krise war das ja auch ein und dasselbe. Die von der neuen Verfassung geforderte Offenlegung der Vermögensverhältnisse hat vielerorts zunächst auch nicht mehr als Überraschung oder bewusste Ignoranz verursacht. Doch die Vermögen der führenden Schicht sind verschwunden und haben sich in den Büchern der Banken zu roten Zahlen verwandelt. Imperien sind zusammen gebrochen und selbst die Banken gehen Stück für Stück unter den Hammer. Der Farang kommt und Angst essen Seele auf!

 

Doch, sieht man einmal von Uwe Solinger ab, der schon vor Jahren als Berater den Einzug ins Innere des thailändischen Parlaments geschafft hat, die Politik des Landes ist noch immer in festen Händen. Es mag für die Betroffenen vielleicht kaum verständlich sein, aber in diese Domäne will der Farang ja sicherlich auch gar nicht eindringen und der internationale Währungsfond, die Weltbank und selbst George Soros haben bei weitem anderes zu tun. Mit gar grausigen Vorhersagen und Theorien wurde noch vor Kurzem der Regierung gemeinsame Sache mit den Ausländern vorgeworfen. Vom nationalen Ausverkauf war die Rede und davon, dass die Ausländer nun doch noch zu ihrem Ziel kämen, nämlich Thailand zur Kolonie zu machen. Solchen Entwicklungen muss natürlich vorgebeugt werden und so wurden Rufe laut selbst alle Journalisten aus Thailand zu verbannen, die sich gar schlecht über das Land auszulassen gedenken. Selbst der Klerus meldete sich zu Wort und warnte vorm bösen Mann. Doch, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte und mir kommt ganz zwangsläufig das hämische Grinsen von Herrn Dr. Mahatir aus Malaysia in den Sinn, als er in einem Fernsehinterview des Senders CNBC auf die drohende Konkurrenz aus Thailand angesprochen wurde.

 

Dabei lief alles so perfekt. Schnelles und vor allem leichtes Geld kam in schier endlosen Strömen ins Land geflossen und konnte auch beinahe ungestört in die hiesigen Kanäle verteilt werden. Allein schon ein bisschen Zögern oder die altbewährte Hinhalte-Taktik brachte ausländische Konzerne soweit, dass diese schließlich nicht nur die Produkte, sondern auch gleich das Geld zu deren Finanzierung mitgebracht hatten. Sollten sie als Normalverbraucher schon einmal versucht haben auch nur einen lausigen Kleinkredit bei einer deutschen Bank zu erhalten, dann werden sie sicherlich auch verstehen, wie verblüfft viele thailändische Unternehmer gewesen sein müssen, als plötzlich Millionen von Dollars auf die einheimischen Konten wanderten. Und dann war da das bornierte Selbstverständnis vieler ausländischer Konzerne, die unaufhaltsam nach immer neuen Wegen suchten, um die Globalisierung ihrer Unternehmen voran zu treiben und dabei selbst auf unbekanntem Terrain einem allzu optimistischen Enthusiasmus den Vorzug gaben.

 

Angesichts solch faszinierender Umweltbedingungen mag es dann auch kaum mehr verwunderlich sein, dass der ungetrübte Positivismus des Auslands seine konsequente Fortsetzung bei thailändischen Politikern und in den Führungsetagen gefunden hatte. Überdies legte bis dahin ja auch kaum ein Investor ernsthaft Wert auf Mehrheiten, Kontrolle oder gar ausreichende Sicherheiten, denn hier in Thailand war das eben so. Und genau so konnte sich die altbewährte thailändische Strategie zu ihrer vollen Blüte entwickeln. Kartenhäuser und windige Imperien schossen wie Pilze aus dem Boden und selbst die guten Unternehmen konnten der Versuchung einer permanenten Überinvestition kaum widerstehen. Andere wiederum hatten sich als Wegelagerer die eigenen Taschen so voll gestopft, dass auch diese Vermögen irgendwie gewinnbringend in den Markt zurückfließen mussten. Mangels besserer Ideen wurden unglaubliche Summen vor allem in den Immobilienmarkt gepumpt. Kaum verwunderlich, dass dies natürlich alles fast ausnahmslos ohne Marktanalysen oder Planungen von Statten ging. Der schnelle Reichtum war in Sicht und diese Verheißung blendete nicht nur die Großen des Landes.

 

Welche Bedeutung hat da dann noch der Aufbau eines Sozialsystems, Bildungswesens oder einer modernen Infrastruktur? Der Wein floss in Strömen, Sektkorken flogen durch Führungsetagen, goldene Uhren hielten genauso Einzug ins tägliche Leben wie Designerjeans aus Italien oder natürlich der gute Stern auf ihren Straßen. Mit dem Privatjet zum Frühstück nach Paris und dazwischen noch eine Firma in England oder Amerika gekauft. Der Aufstieg schien unaufhaltsam und endlich war man auch jemand im Kreise der Magnaten dieser Welt. Nun, vielleicht hat man die Realitäten schlicht verneint oder es ist all den Managern nie aufgefallen, dass dieses Glück leider nur geborgt war. Die Party war dann auch schnell zu Ende und was blieb war die Rechnung.

 

Hochmut kommt gelegentlich vor dem Fall und so konnte die Krise nicht ausbleiben. Wie am Morgen nach der Party haben Krisen jedoch auch den Vorteil, dass sie für eine ganz gewisse Zeit zumindest die traurige Wahrheit ans Licht bringen und die Realität ohne Schminke zur Schau stellen. Dies veranlasst jetzt auch viele Personen des öffentlichen Lebens hier in Thailand zu einer kritischen Bestandsaufnahme, Arbeiter gehen auf die Straßen, Bauern protestieren und die Presse zieht offen gegen Missstände zu Felde. Verfolgt man jedoch die offizielle politische Debatte, dann drängt sich eher der Eindruck auf, dass Thailand eben nur gelernt hat mit der Krise zu leben. Dramatische Veränderungen, wie zum Beispiel in Korea, fanden tatsächlich nicht statt und entsprechende Vorstöße blieben in den genannten politischen Debatten und Schlammschlachten stecken. Fast schon könnte man den Eindruck gewinnen, dass es sich mehr um eine Familienstreitigkeit handelt, die durch die Dolchstoßlegende nur vervollständigt wurde.

 

Doch Thailand ist ganz und gar nicht am Ende und Veränderungen sind im Gange, die langfristig das Gefüge im Lande nachhaltig verändern und dem Land die erforderliche Stabilität wieder geben werden. Ein neuer und revolutionärer Geist ist zugange. Mehr und mehr will das thailändische Volk Roß und Reiter wissen, fordert die Namen der Übeltäter, die Rede ist von Gerichtsverfahren, Bestrafung und davon, dass dem Volk zurück gegeben werden solle, was man ihm über Jahre hinweg genommen hat. Dabei ist nicht zu verkennen, dass die durch die Krise erzwungene Öffnung der eigenen Wirtschaft durchaus als Bedrohung empfunden wird, da man mit den Gesetzen des offenen Wettbewerbs nicht sehr vertraut ist, denn die lieb gewonnenen Monopole und Marktbeschränkungen haben bisher ausreichende Absicherung vor aggressiven Eindringlingen geboten.

 

Veränderungen finden vor allem in gesellschaftlichen Ebenen statt und wer die Entwicklung genau verfolgt stellt unschwer fest, dass vor allem das einstige Establishment so langsam aus dem Fokus verschwindet. Das versteckte Ziel ist nichts geringeres als die grundsätzliche Veränderung der gesamten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Struktur des Landes. Solche Veränderungen kommen nicht einfach und erfordern in vielen Bereichen schwerwiegende Einschnitte. Für viele bedeutet dies den Verlust von Einfluss, Macht und vor allem sozialer Anerkennung. Das Bestehen ganzer Familien und Klans steht auf dem Spiel und wen mag es da verwundern, wenn verändernde Kräfte nicht gerade freundlich aufgenommen werden. Und wer das Denken nicht bekämpfen kann, der bekämpft eben den Denkenden.

 

Die Veränderungen kommen nicht von außen, auch wenn dies plakativ von manchen heute so gesehen wird. Die „Bedrohung“ ist im eigenen Hause und kaum mehr aufzuhalten. Die Frage wird sich jedoch stellen, wie lange dieser Prozess anhalten wird und wann entsprechende Änderungen zu tatsächlichen Verbesserungen führen werden. Nationaler Stolz ist hierbei kein Hinderungsgrund, solange es nicht zur Verblendung der Realitäten führt. Thailand wird sich in erster Linie mit sich selbst und seinen regionalen Nachbarn messen müssen, kaum jedoch mit den westlichen Industrienationen. Und genau bei diesen Nachbarn gehen Veränderungen wesentlich schneller voran, wird Vertauen in die Wirtschaft wieder aufgebaut und wichtige Investitionen finden ihren Weg in diese Nachbarstaaten. Der Farang als Schreckgespenst hat ausgedient und die Betroffenen sollten damit beginnen sich auf die internen Angelegenheiten zu konzentrieren. Drastische Veränderungen sind von Nöten. Die Einschätzung der langfristigen Entwicklung Thailands wird daher nicht so sehr von wirtschaftlichen Zuwachsraten abhängen, sondern davon, ob die notwendigen Entscheidungen in den Bereichen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Ausbildungssystem getroffen werden.

 

Für ausländische Investoren wird zum entscheidenden Faktor, ob die betroffenen lokalen Unternehmen in den alten Denkweisen verharren und nur nach neuem Geld Ausschau halten oder ob Investitionen die Durchführung substanzieller Veränderungen ermöglichen können. Neue Produktionsmethoden, neue Technologien und neues Geld allein werden kaum zum Erfolg führen. Ausländische Investoren müssen sich darauf einstellen, dass die erfolgreiche Investition untrennbar mit einer Reorganisation einhergehen muss. Solange alte Geschäftspraktiken, Verwaltungsmethoden und Denkweisen die Grundlage des Unternehmens bilden, solange werden auch Investitionen zweifelhaft bleiben. Gerade deutsche Unternehmen sollten sich damit anfreunden, dass allein das technische Wissen und die Ausbildung von Ingenieuren bei weitem nicht mehr ausreichend ist. Ausbildung muss sich auf das Management und die Abteilungsleiter konzentrieren und moderne Managementmethoden, vor allem aber das Verständnis für Verantwortung und wirtschaftliche Zusammenhänge zum Ziel haben.

 

Die thailändischen Mitarbeiter sind auf ihrer Seite, solange sie erkennbar verantwortlich handeln. Die Thailänder wollen jetzt endlich Taten sehen, denn zu lange wurde man mit Kultur und sozialen Regeln abgespeist. Das soll sich nun ändern. Dabei kann nicht außer Betracht gelassen werden, dass von ausländischen Investoren neben der üblichen Sorgfalt auch eine gute Portion Verständnis verlangt wird. Schließlich könnte es ja wirklich sein, dass ihre Partner reichlich Angst davor haben, geschluckt und wieder ausgespuckt zu werden. Dass dies nicht so ist, muss persönlich und über Zeit vermittelt werden und Taten zählen da mehr als bloße Worte. Die Angst vor fremden Mächten sitzt tief und wird leider noch immer geschürt. Wir sollten nicht vergessen, dass wir genau diese bösen Mächte repräsentieren und daher Vertauen zu schaffen haben, bevor wir von unseren thailändischen Partnern erwarten können, dass diese sich auf neue Wege einlassen, sich von altvertrauten Praktiken verabschieden und einem Ausländer die Kontrolle über das eigene Unternehmen überlassen. Auch wenn derzeit gehäuft Parolen durch die Presse gehen, muss man sehen, dass die Thailänder in der Vergangenheit immer wieder ihre Flexibilität unter Beweis gestellt haben. Wer Angst hat benötigt gute und vertrauensvolle Partner, die sich erkennbar den gemeinsamen Erfolg zum Ziel gemacht haben, bereit sind die Führung zu übernehmen ohne Vorteil daraus zu ziehen und realistisch genug sind, um die Herausforderungen Thailands zusammen mit den thailändischen Partnern zu meistern.