schneeraben.de - Philosophische Reisevorbereitungen von Thomas H. Jäkel

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Das Skriptorium

 

 

Apokalyptische Reiter

von Thomas H. Jäkel

 

 

Die Apokalyptischen Reiter sind keine Fabelwesen einer anderen Welt, sondern menschliche Reiter, die das Ende der Welt einläuten und damit der Überzeugung Rechnung tragen, dass wir es selbst sind, die unser Schicksal bestimmen und die Zukunft der Menschheit und der ganzen Welt in unseren Händen halten. In diesem Bewusstsein hat die Menschheit in ihrer vergleichsweise sehr kurzen Entwicklung auch Erstaunliches erreicht und alle negativen Entwicklungen konsequent einer der vielen Gottheiten zur Last gelegt, die wir für solche Fälle in allen Bereichen bereit halten. Doch immer dann, wenn die Lage aussichtslos oder viel zu komplex wird, greifen wir nach obskuren Heil bringenden Wundermitteln, nach der eierlegenden Wollmilchsau also, die dann auch noch reitbar ist. In der Regel manifestieren sich diese Wundermittel dann in kernigen Schlagworten oder einfachen Slogans, deren Bedeutung zumeist keinem im Detail bewusst ist und damit eine Mystifizierung in greifbare Nähe rückt. Dies, so scheint es, ist auch der Fall, wenn wir heute über die so allgegenwärtige Globalisierung reden.

 

Die einen betrachten Globalisierung als Segen für die Zukunft der Menschheit, die anderen als die Reinkarnation des Teufels selbst. So unterschiedlich die Debatte auf beiden Seiten auch über die letzten Jahre geführt wurde, so klar tritt jedoch auch hervor, dass sich die Standpunkte beider Seiten bereits in der Definition und somit auch in der Bedeutung des Begriffes wesentlich unterscheiden. Was genau wird hier eigentlich globalisiert, wer globalisiert, wie wird globalisiert und vor allem: warum wird globalisiert? Die Beantwortung dieser Fragen wäre sicherlich einfacher, wenn wir aus Vergangenem lernen und entsprechende Schlüsse für die Zukunft ziehen könnten. Daher sollte sich zunächst auch die Frage stellen, ob Globalisierung ein in sich neuer Prozess ist oder ob wir Ähnliches oder Gleiches in unserer Geschichte schon einmal durchgemacht haben. Sicherlich, die Motive mögen im Einzelnen unterschiedlicher Natur gewesen sein, doch die Geschichte der Menschheit ist eine einzige Reihe von Globalisierungsbemühungen, an deren vorläufigem Ende sich unsere heutige Weltordnung und die sich darin befindlichen Systeme wiederfinden.

 

Als die ersten Menschen ihre lange Reise in neue Gebiete antraten und Afrika in Richtung Norden verließen, wurde der Grundstein für die Globalisierung der Menschheit gelegt. Die Gründe für diese Migration haben sich über die Zeit nicht grundlegend verändert, denn auch heute zählen neuer Lebensraum, Nahrung oder Bodenschätze zu den grundlegenden Beweggründen für Migrationsbewegungen in aller Welt. In der Folge haben aber nicht nur die heutigen Weltreligionen zu einer globalen Vernetzung von Menschen unterschiedlicher Herkunft geführt, sondern auch die Unternehmungen eines Alexander dem Großen, eines Dschingis Khan und natürlich des Römischen Reiches. Die Vereinigung verschiedener Völker zum Beispiel unter einer Pax Romana ist damit nichts Neues und in wirtschaftlicher Sicht hat ein Marco Polo und andere Abenteurer wie Columbus letztlich genau so zur Schaffung der Basis für den Handel zwischen den Kontinenten gesorgt, wie dies die Kolonialmächte danach getan haben. Ein römischer Bürger konnte genau so Produkte aus fernen Ländern sein eigen nennen, wie dies im Mittelalter und auch später der Fall war. Zudem lehrt uns die Geschichte, dass die gemeinsamen Interessen einer Bevölkerungsgruppe letztlich zu den USA, Europa, der ehemaligen Sowjetunion und einem vereinten China geführt und damit die Kleinstaaten der alten Welt abgelöst haben. An der Spitze dieser Bemühungen stehen heute solche Organisationen wie die Vereinten Nationen, die Weltgesundheitsorganisation oder die Welthandelsorganisation. Damit legt sich der Schluss nahe, dass Globalisierung kein neues, sondern ein mit der menschlichen Entwicklung verknüpftes Phänomen ist.

 

Das Reich eines Alexander dem Großen ist jedoch im Zuge der Geschichte genau so untergegangen, wie das Römische Reich oder das Reich eines Dschingis Khan. Auch ehemalige Kolonialmächte wie England, Spanien oder Portugal haben ihre Kolonien und damit ihre einstige Größe verloren. Mesopotamien oder Alexandria sind bei weitem nicht mehr das kulturelle Zentrum der Welt und die Vereinten Nationen haben in der Zeit seit ihrer Gründung kaum einen bemerkenswerten Einfluss erhalten und werden nicht nur von den USA als überflüssige Einrichtung betrachtet. Ist damit jegliche Globalisierung zum Scheitern verurteilt? Die Gefahr eines solchen Scheiterns ist in der Tat sehr groß, da jede Globalisierung eben nicht einseitig erfolgen kann, sondern eine Vielzahl an Komponenten adressieren muss, die nur in ihrer Gesamtheit zum Erfolg führen können. Wer Globalisierung nur mit einer globalen Erweiterung des Wirtschaftsraums gleichsetzt, übersieht wichtige Aspekte im Bereich der politischen, kulturellen, religiösen, aber auch militärischen und umweltrelevanten Interessen der betroffenen Menschen. Aus der Natur der Sache kann Globalisierung also nur ein gegenseitiger Prozess sein und damit eine globale Integration der Interessen der Weltbevölkerung. Es ist genau dieses sensible Gleichgewicht aus nationalem und internationalem Interesse, welches Menschen in die Lage versetzt, auf eigene Aspekte ihres Lebens zu verzichten und diese durch andere zu ersetzen. Damit tritt die Frage in den Vordergrund, wer nun eigentlich tatsächlich globalisiert und vor allem: warum.

 

Die maßgeblichen Betreiber der Globalisierung sind die Industrienationen unter der Führung der USA. Im Hinblick auf eine ausgewogene Abwägung nationaler Interessen und damit einer möglichst realitätsnahen und gerechten Vertretung der Weltbevölkerung lohnt sich an dieser Stelle ein Blick auf die Zusammensetzung eben dieser Weltbevölkerung. Bei einer Gesamtbevölkerung von 6,5 Milliarden Menschen im Jahr 2006 ergibt sich eine kontinentale Verteilung von 59,82% für Asien, 13,75% für Afrika, 13,69% für Amerika, 12,25% für Europa und 0,49% für Ozeanien, wobei die USA und die EU zusammen nur 12,14% der Weltbevölkerung stellen. Indien und China hingegen beheimaten zusammen immerhin ganze 37,60% aller Menschen unseres Planeten. Die rhetorische Frage ist nun eben, ob wir diese Zahlen in der internationalen Politik und den realen wirtschaftlichen Kräften genau so wieder finden oder ob wir hier eher eine Umkehr der tatsächlichen Verhältnisse haben. Wenn also eine Minderheit den verbleibenden 80% der Menschen klar zu machen versucht, wie die Welt von morgen auszusehen hat, dann ist selbst bei positiver Betrachtung ein Misserfolg das wahrscheinlichste aller Ergebnisse, das wir zu erwarten haben. Dies wird gerade auch vor dem Hintergrund interessant, dass es den Betreibern überwiegend nicht darum geht, Asien, Südamerika und Afrika zu integrieren, sondern neue Märkte zu eröffnen und militärische Sicherheitsaspekte zu adressieren. Ausgesprochen aufschlussreich ist hierbei auch die Lektüre der für das „Project for the New American Century“ dargelegten Prinzipien, welche nicht nur von so illustren Namen wie Jeb Bush, Dick Cheney oder auch Paul Wolfowitz unterzeichnet wurden, sondern ganz deutlich den Führungsanspruch der USA in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht aufzeigen.

 

Auf der anderen Seite ist kaum davon auszugehen, dass die mit einem steigenden Sendungsbewusstsein ausgestattete USA ihre eigenen Interessen denen der armen oder gar der internationalen Weltbevölkerung unterordnet und sich als Gleicher unter Gleichen zeigt. Und die Anderen werden auch weiterhin die wirtschaftlichen Möglichkeiten der sogenannten Globalisierung nutzen, um mehr von dem Kuchen zu erhalten, der hier zu verteilen ist. Es wäre jedoch ein Trugschluss, wenn man davon ausgehen würde, dass sich zum Beispiel China, Russland, Indien oder die Länder des mittleren Ostens den politischen, kulturellen, religiösen oder gar den militärischen Ideen einer USA fügen werden. Vielmehr werden wir in den nächsten Jahrzehnten eine verstärkte globale Polarisierung vorfinden, die vor allem durch die neue Finanzstärke der Entwicklungs- und Schwellenländer hervorgerufen und zu weiterer militärischer Aufrüstung führen wird. Diese Entwicklung legt den Schluss nahe, dass die Globalisierung eine weitere Nationalisierung zur Folge haben wird und damit dem Grundsatz des Überlebens der Stärkeren folgt. Die armen Länder werden ihren Marsch in die reichen Länder fortsetzen und ihre eigene Heimat sich selbst überlassen. Diese sich heute schon vollziehende Migrationsbewegung wird in ihrer Folge zu ernsthaften sozialen Problemen in den Zielstaaten führen und diese letztlich deutlich schwächen. Dieser eher negative Ansatz begründet sich schlicht in der Überlegung, dass eine einseitige wirtschaftliche Globalisierung, die dem alten Grundsatz „wer zahlt, schafft an“ folgt, die verbleibenden Aspekte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt und damit den Menschen in Bangladesh oder Kenia nicht gerecht wird. Wenn ein T-Shirt in Bangladesh für 1 Dollar gefertigt und dann im fernen Los Angeles für 30 Dollar über die Ladentheke geht, dann kann der Arbeiter in Bangladesh davon noch immer kaum leben, der Amerikaner hat seine Arbeit verloren und nur die Händler und multinationalen Konzerne sind etwas reicher geworden. Wer darin ein Wundermittel sieht, sollte sich den erwarteten Segen der Globalisierung nochmals genau überlegen.

 

Friedrich Engels schrieb 1847 in seinen „Grundsätze des Kommunismus“, dass die große Industrie schon dadurch, dass sie den Weltmarkt geschaffen hat, alle Völker der Erde, und namentlich die zivilisierten, in eine solche Verbindung miteinander gebracht hat, dass jedes einzelne Volk davon abhängig ist, was bei einem andern geschieht. Nichts anderes erwarten sich die Führer der Globalisierung, denn die wirtschaftliche Abhängigkeit der Zulieferstaaten von den Märkten in den USA und Europa führt nicht nur zu einer wirtschaftlichen Zwangslage, sondern zu einer erzwungenen politischen Gefolgschaft in der sich ein „für uns oder gegen uns“ nahtlos einfügt. So schreibt Peter Scholl-Latour in der April-Ausgabe des Magazins „Cicero“: „Wer die Dinge beim Namen nennt, setzt sich in den deutschen Medien unweigerlich dem diffamierenden Vorwurf des Antiamerikanismus aus“. Weiter führt der Artikel aus: „Seit George W. Bush und seine neokonservative Umgebung trotz gelegentlicher Beschwichtigung an die europäische Adresse am Unilateralismus der US-Politik festhalten und die wirklich relevanten Staaten sich frei nach Nietzsche als „kälteste aller Ungeheuer“ zu erkennen geben, wirken die Beteuerungen von Nibelungentreue, wie sie aus dem Berliner Reichstag über den Atlantik klingen, naiv und unzeitgemäß. Wer kann es übrigens Wladimir Putin verübeln, dass er den Aufbau neuer Lenkwaffenstellungen an seiner Westgrenze, die mit einem von Warschau geschürten „Drang nach Osten“ der Nato und der EU einhergeht, als Provokation empfindet und adäquate Gegenmaßnahmen trifft. Hat bei den patentierten Kreml-Kritikern jemand bedacht, wie wohl die amerikanische Öffentlichkeit reagieren würde, wenn russische Ingenieure ihre Raketensysteme – unter welchem Vorwand auch immer – in Venezuela, Nicaragua oder gar Kuba einbetonierten?“

 

All diese Überlegungen führen letztlich zu dem Schluss, dass die wirtschaftliche Form der Globalisierung weiter fortschreiten und das Gefälle zwischen Arm und Reich vor allem auf nationalem Niveau noch weiter verschärfen wird. Wer sich durch die verstärkte wirtschaftliche Vernetzung jedoch eine spürbare Steigerung der nationalen Sicherheit erwartet, wird sich vom Gegenteil überzeugen lassen müssen. In den kommenden Jahren werden sich nicht nur die Amerikaner fragen müssen „why do they hate us so much?“ Es scheint immer wieder unerklärlich, wie selbstverständlich die Tatsache missachtet wird, dass Armut und Ungerechtigkeit in jeder Form dazu geeignet sind, Gewalt zu erzeugen und Menschen zu ermutigen, das ihnen Zustehende auch mit eben dieser Gewalt einzufordern. Wer jährlich über 80 Milliarden Dollar für einen sinnlosen Krieg ausgibt und angesichts der Kinder, die täglich an Hunger und heilbaren Krankheiten sterben, endlose Diskussionen führt, wer die Welt in Gut und Böse einteilt und sich aus nationalen Interessen den Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach Umweltschutz verschließt, wer selbst bis an die Zähne aufrüstet und anderen die nationale Verteidigung in gleicher Form verweigert, der ist für eine globale Führungsrolle schlicht ungeeignet. Angesichts drohender Umweltprobleme, Hunger, Krankheiten und globaler Armut ist es an der Zeit die Eckpunkte der Globalisierung genauer oder auch einfach neu zu definieren. Es mag die These aufgestellt werden, dass Menschen in ihrem Leben dann nicht zu Terroristen werden oder ihr Land durch Krieg zerstören, wenn sie in ihrer Heimat ein gesichertes Leben und die reale Hoffnung haben, dass ihre Familie eine menschenwürdige Zukunft erwartet. Globalisierung kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle Aspekte in dieses Konzept eingebunden werden und damit eine Weltgesellschaft geschaffen wird, die nicht durch Angst und Schrecken, Armut und Krankheit geprägt ist. Diese Globalisierung muss von Gleichheit und vor allem von ausgleichender Gerechtigkeit geprägt sein. Damit verbietet sich aber per se der Gedanke einer Führungsrolle, es sei denn, diese Führungsrolle wird von allen Nationen gleichermaßen wahrgenommen. Diese Interessengemeinschaft gibt es heute schon. Leider wird ihr kein Gewicht beigemessen. Warum wohl?