schneeraben.de - Philosophische Reisevorbereitungen von Thomas H. Jäkel

schneeraben.de - Philosophische Reisevorbereitungen von Thomas H. Jäkel

Das Skriptorium

 

 

Es menschelet halt überall

von Thomas H. Jäkel

 

 

Als ich mich einst in einem seltenen Überschwang der Bewunderung für einen Vorgesetzten einer anderen Abteilung befand, wurde ich von einer erfahrenen Kollegin ganz sanft mit den Worten „Jeder Chef verliert, wenn er der eigene wird“ wieder auf den Boden der Realitäten zurück geholt. In der Tat hatte ich, in einer von nicht enden wollenden Umstrukturierungen geplagten Zeit, den zweifelhaften Vorzug genossen, fast alle halbe Jahr einen neuen Chef zu bekommen und die Erfahrungen mit dieser Spezies waren bei weitem nicht immer ermutigend. So war es dann wohl auch unausweichlich, dass sich die über Jahre anerzogene und pauschale Bewunderung für alle „erfolgreichen“ Manager mit der Zeit zunächst in gesunde Skepsis und letztlich in geduldete Koexistenz verwandelte. „Das müssen sie nicht so ernst nehmen“, ermutigten mich ältere Kollegen, „Chefs kommen und gehen, wir bleiben.“ Doch auch viele der langjährigen Kunden schienen nicht viel auf meine Vorgesetzten zu geben und konzentrierten sich fast ausschließlich auf die Arbeitsebene. In den folgenden Jahren konnte ich dann auch in anderen Unternehmen feststellen, dass zwischen den verschiedenen Ebenen einer Organisation ganz offensichtlich Welten liegen und von einem harmonischen Ganzen nicht die Rede sein konnte. Nun kann man dies auch nicht mit den „üblichen Reibungsverlusten“ abtun, denn das Unternehmen befindet sich in einem ständigen Leidensprozess und kann seiner eigentlichen Aufgabe in vielen Fällen kaum angemessen nachkommen.

 

„Sie denken zu viel!“ bescheinigte man mir von allen Seiten. Nun, solange man noch Ideale hat, ist man natürlich der Meinung, dass gerade das Denken eine der Eigenschaften sei, die einen guten Mitarbeiter auszeichnen sollte und so drängte sich gewisses Unverständnis dafür auf, warum es eine Kantine oder gar Toiletten geben sollte, die nur den Führungskräften vorbehalten waren. Auch Stühle mit hoher Rückenlehne oder gar Armlehnen waren genauso vom Rang des Mitarbeiters abhängig, wie Gardinen oder der Platz des Schreibtisches im Büroraum. Damit kann man ja vielleicht noch leben, doch auch andere, durchaus nützliche Arbeitsgeräte wie Mobiltelefone oder Firmenwagen, werden gar selten dem zur Verfügung gestellt, der sie benötigt, sondern dem, der sie vermeintlich verdient. Mit Steigerung der Produktivität hat dies alles nichts mehr zu tun und ich wundere mich, ob die Aktionäre immer so genau wissen, wofür ihr teures Geld ausgegeben wird.

 

Selbst in eine Position mit Personalverantwortung aufgestiegen, präsentierte mir mein Vorgänger ganz stolz all die Insignien der Macht, die mit dieser Position verbunden waren und wies mich auch inständig darauf hin, dass ich den Mitarbeitern gleich deutlich machen müsse, wer hier der Chef sei. Gerade für einen jungen Kollegen, wie ich einer sei, wäre dies ja nun unabdingbar, um von Anfang an Kompetenz und richtige Führungsstärke auszustrahlen. Glücklicherweise hatte ich zuvor auch anderes erlebt und lehnte dankend ab, zog aus dem Chefzimmer aus und setzte mich inmitten meiner chinesischen Mitarbeiter, die dies zunächst auch nicht mehr verstehen konnten.

 

Ein Einzelfall? Leider nicht. Unternehmen verlieren auf dem Weg nach oben bestimmte Prinzipien, die ihnen einst unternehmerische Kraft und Überlegenheit verschafft haben. Dabei gehen solch wichtige Eigenschaften wie Anpassungsvermögen, Kundennähe und Eigendynamik verloren. Ein Grund für diesen Verlust ist der unglückliche Aufbau von Machtsphären, Besitzstände, Rangordnungen und sonstiger innerbetrieblicher Besonderheiten, die mit dem Kunden nichts zu tun haben und nur der Selbstbefriedigung und einer zweifelhaften Mitarbeitermotivation dienen. Das Management entfernt sich vom Markt, vom Kunden und leider auch von den eigenen Mitarbeitern. Der einst erfolgreiche Grundsatz für Manager, als „primus inter pares“ zu agieren, um so die immanente Schaffenskraft des Teams zu fördern, weicht einer schlichten und sehr persönlich geprägten Karriereplanung. Der so orientierte Jungmanager findet auch das richtige Terrain für seine Ambitionen, denn zu oft zählt nicht die Leistung, um für eine führende Position berufen zu werden. „Sie arbeiten zu viel, so machen sie ja nie Karriere!“ ist leider ein sowohl richtiger wie auch wichtiger Rat für all diejenigen, die es ganz nach oben schaffen wollen. Von rühmlichen Ausnahmen einmal abgesehen, findet die reine Leistungsbewertung allenfalls noch im Kampf um die unteren Tarifkreise statt. Höhere Ränge erfordern dagegen andere Qualitäten von denen Bekanntheitsgrad, Anpassungsfähigkeit, Umgänglichkeit, gutes Auftreten und gesellschaftliche Akzeptanz sicherlich nicht die unbedeutendsten sind. Auf diese Weise wird natürlich keineswegs die Qualität der Führungselite sicher gestellt, jedoch wird gewährleistet, dass man möglichst wenig Nestbeschmutzer in die erlesene Führungsriege aufnimmt.

 

Einmal in diesen Kreisen angelangt, wird das Leben, gute Führung vorausgesetzt, dann wieder einfacher und der ununterbrochenen Karriere scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Die Kritik des gemeinen Volkes kann, muss aber nicht gehört werden und selbst, wenn es doch einmal zur Konfrontation kommen sollte, dann helfen bereitstehende Machtinstrumente und die Disziplinarordnung allemal weiter, um Querdenker in die Schranken zu verweisen. Zudem kann man sich ja schnell wieder in die Büros in den Führungsetagen verziehen, die fast ausschließlich und sinnbildlich immer weit Weg vom Erdgeschoss liegen. Doch auch offensichtliches Versagen führt nur selten zum Ende der Karriere, sondern eher zu einer Versetzung in einen anderen Bereich, was in der Regel keine nachhaltige Verbesserung der Leistung der jeweiligen Führungskraft nach sich zieht. „Nieten in Nadelstreifen“ von Günter Ogger oder auch „Der kleine Machiavelli“ von Peter Noll und Hans Rudolf Bachmann zeichnen ein umfangreiches Bild und bieten sich zur Lektüre an.

 

Die Idee des Kommunismus hat versagt, weil sie die wesentlichen Grundzüge menschlichen Handelns außer Acht gelassen hat und eine grundlegende Umerziehung der Menschen nicht einmal im Ansatz geglückt ist. Verblüffenderweise gehen auch viele Manager davon aus, dass Mitarbeiter selbstlos und nur im Hinblick auf das Wohl der Firma handeln, während dieselben Manager konsequent nur ihre eigene Karriere und damit ihre eigenen Interessen im Auge haben. Die Ignoranz eines fairen Interessenausgleichs und die gleichzeitige Fixierung auf die einseitige Maximierung des eigenen Gewinnanteils führt zum Verlust von Motivation, Einsatzbereitschaft und Unterstützung und fördert eine allgegenwärtige Ausbeutungsmentalität unter allen Beteiligten. Solche Organisationen erfordern eine außerordentlich starke Führung und Kontrolle, um noch Herr der Lage zu bleiben und eine völlige Ausuferung zu vermeiden - gleichzeitig entledigt sich eine solche Organisation jeglichen Potenzials für kreatives und dynamisches Handeln. Diese Inflexibilität führt früher oder später zwangsweise zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und der Kontrolle über die Vorgänge im eigenen Unternehmen. Dabei krankt das System nicht an der eigentlichen Ausbildung der Manager, sondern an der konsequenten Verdrehung des Wertesystems. Wo es aber nicht mehr in erster Linie um das Unternehmen geht, da werden auch keine Entscheidungen für das Unternehmen und schon gar nicht für die Interessen der Kunden und Mitarbeiter getroffen. Niccolò Machiavelli selbst beschreibt das wie folgt: „Immer werden in zweifelhaften Lagen, wo Mut zur Entscheidung nötig ist, zweideutige Entschlüsse gefällt, wenn schwache Männer zu beraten und zu beschließen haben. Nicht weniger schädlich als die zweideutigen Entschlüsse sind die langsamen und späten. Verspätete Entschlüsse sind entweder auf Mangel an Mut und auf Schwäche zurückzuführen oder auf die bösen Absichten derer, die die Beschlüsse zu fassen haben. Diese werden von ihrer Leidenschaft dazu getrieben, entweder den Staat zugrunde zu richten oder einen ihrer Wünsche zu befriedigen. So lassen sie es nicht zur Entscheidung kommen“.

 

Machiavelli’s Feststellungen, mögen sie inzwischen auch etwa 500 Jahre alt sein, haben nichts an ihrer Bedeutung verloren. Unterstellt man einmal theoretisch, dass es allen nur um das Wohlergehen des eigenen Unternehmens geht, dann ist es nicht mehr erforderlich, dass viele Manager ihre Position zur Schau stellen, sich abschotten und Angst und Schrecken verbreiten. Allerdings wäre es von Nöten, dass sich diese Manager täglich behaupten müssten, um ihre Führungsrolle zu rechtfertigen und sie müssten über eine Persönlichkeit verfügen, die es ihnen erlaubt konsequent der besseren Idee Platz zu machen. Ich gebe zu, dass dies utopisch klingt und doch stelle ich mir vor wie es wäre, wenn tausende Mitarbeiter eines Unternehmens nur für ein Jahr in die gleiche Richtung laufen würden. Eine grauenhafte Vorstellung für alle Mitbewerber! Einen zumindest vergleichbaren Geist konnte ich noch in der Nixdorf Computer AG vorfinden, wo man als einfacher Vertriebsmann noch direkt beim Vorstand anrufen konnte, wo man an allen Stellen Unterstützung bekam und bereitwillig einem Firmenleiter folgte, der durch Persönlichkeit, Einsatzbereitschaft und Charisma überzeugte.

 

Nun, die gute Nachricht ist, dass sie hierfür kein Training für cross-cultural management benötigen, da sich diese Eigenarten in allen Ländern vorfinden und sich daher als globale Erscheinung manifestieren. Auch in Thailand setzt sich die Führungselite ganz deutlich vom normalen Mitarbeiter ab und zeigt dies auch in mannigfaltigster Weise. Erstaunlich ist jedoch, wie oft sich gerade ausländische Manager über dieses Phänomen wundern, wo sich doch zuhause im eigenen Unternehmen mit kleinen Varianten genau das selbe abspielt. Und hoher Besuch aus Deutschland wird natürlich im besten Hotel einquartiert, ordentlich Entertainment wird organisiert und man nimmt sich viel, sehr viel Zeit. Da müssen dann schon mal Kunden oder gar Mitarbeiter mit ihren, wenngleich auch wichtigen, Anliegen anstehen. So mancher Manager sollte sich da fragen, ob er dem einfachen Ingenieur, der gerade dabei ist das Projekt zu retten, die gleiche Ehre zuteil werden lässt.

 

Es wäre sicherlich zuträglich, wenn sich die mit Umstrukturierung beschäftigten Unternehmen mehr mit dem Gebiet der Unternehmenskultur beschäftigen würden und damit beginnen altgeliebte Praktiken, Strukturen und vor allem Besitzstände rigoros in Frage zu stellen. Vielen Unternehmen fehlt nicht die Anbindung ans Internet, sondern die Nutzung ihrer teuersten Ressourcen: der Mitarbeiter. Es wäre durchaus zeitgemäß auch damit zu beginnen, flache Hierarchien einzuführen und die Manager wieder da einzugliedern, wo sie hingehören: ins Team. Arrogantes, überhebliches und allzu professionelles Auftreten verhindert Kommunikation mit Kollegen, baut Wände auf und verhindert ein produktives, dynamisches und zielgerichtetes Handeln im Unternehmen. Ohne Zweifel, Menschen brauchen Führung. Doch diese Maxime verlangt nach qualifizierter Führung, nach Menschen und nicht nach beeindruckenden Zeichen der Macht.

 

Doch wie gesagt, es menschelet halt überall.