schneeraben.de - Philosophische Reisevorbereitungen von Thomas H. Jäkel

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Das Skriptorium

 

 

Das Hexeneinmaleins

von Thomas H. Jäkel

 

 

Seit jeher haben Auguren, Hellseher, Druiden oder auch sonst vermeintlich schlaue Zeitgenossen auf verschiedenste Weise versucht, Licht in das allgemeine Dunkel der Menschheit zu bringen und, wie sollte es auch anders sein, daraus ordentlich Kapital geschlagen. Wissen ist eben Macht und das scheint auch der Grund dafür zu sein, dass der überwiegende Teil der Menschheit über Jahrtausende ganz gezielt im Dunkeln gelassen wurde. Wie sonst sollte es auch erklärbar sein, dass das geballte Wissen des Mittelalters fürsorglich in Klöstern, Kirchen und privaten Archiven unter Verschluss gehalten wurde? Nach etlichen Revolutionen und Aufklärungen sind wir heute schließlich im Zeitalter der Information angelangt und glaubt man den heutigen Auguren, so könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass Wissen heute im Überfluss und vor allem frei verfügbar sei.

 

Nun, dieser Eindruck ist in seiner Konsequenz so falsch wie irreführend. Zwar ist es durchaus richtig, dass uns Kabelfernsehen, Internet, Zeitungen oder Radio ganze 24 Stunden am Tag mit Informationen versorgen und gelegentlich sogar zuschütten. Aber Information ist eben nicht gleich Wissen, sondern in erster Linie immer dann ein Nährboden für Beeinflussung, Irreführung oder Polemik, wenn eine solche Information nicht ausreichend verarbeitet, interpretiert oder zumindest sinnvoll eingeordnet wird. Und vieles, was wir tagtäglich als Information präsentiert bekommen, ist kaum als solche zu qualifizieren, sondern dient mehr und mehr der unterschwelligen Beeinflussung unserer ganz persönlichen Entscheidungsfreiheit.

 

Der schlichte Drang nach politischer Macht hat sich im Laufe der Jahre mit wirtschaftlichen Interessen vermischt und ganz offensichtlich bedarf keines der hiermit verbundenen Ziele einer besonderen Aufklärung des Empfängers der Information. Ganz im Gegenteil, je weniger der Empfänger versteht, desto besser ist es für manche Information. Psychologen und Sozialwissenschaftler werden gerne zu Rate gezogen, um die Aufmachung und das Design der Information entsprechend wirksam zu gestalten. Und da es entscheidend auf die „Message“ ankommt, wird der Inhalt dabei leider zu oft bewusst in die völlige Unwesentlichkeit verbannt. Kritische Betrachtungen insbesondere amerikanischer Nachrichtensendungen und vieler Internet-Seiten, Zeitungen oder Radiosendungen können diesen Eindruck durchaus belegen und zu dem Schluss führen, dass Information zum tragenden Fundament der Unterhaltungsindustrie geworden ist. Wozu also noch studieren oder einen Beruf von der Pike an lernen, wenn eine CD-ROM oder noch besser ein einschlägiges Video im Angebot ist?

 

In Deutschland und anderen Industrienationen wird vielerorts die stete Verschlechterung der Ausbildung beklagt und auch Firmen in Thailand mögen kaum verwundert sein, dass selbst begehrte MBA Absolventen kaum sinnvoll mit ganz normalen Prozentrechnungen umgehen können. Solange jedoch das Verständnis für logische Zusammenhänge fehlt, hilft dann auch der gezielte Griff zum Taschenrechner oder Computer nicht viel, denn beide tun eben auch nur das, was der Benutzer in Auftrag gegeben hat. So mag es wohl auch vielen Käufern verborgen geblieben sein, dass thailändische Autohäuser bei Finanzierungen nicht den effektiven Jahreszins angeben, sondern unverblümt Zinsen über die ganze Laufzeit vom vollen Kaufpreis berechnen. Na ja, 8% sind eben nicht immer 8%. Aber auch in Amerika wird selbstbewusst damit geworben, dass die 2 Literflasche immerhin 50% mehr Inhalt bietet als die alte 1 Literflasche. Das ändert zwar am Inhalt der Flasche nichts, zeigt jedoch das Niveau auf dem sich so mancher inzwischen bewegt.

 

Nach vorsichtiger Einschätzung bleiben bei der Mehrheit aller Benutzer etwa 75% aller Funktionen eines Office Pakets ganz einfach deshalb ungenutzt, weil der oder die Betreffende von deren Existenz keine Kenntnis hat oder nichts damit anfangen kann. Es ist schon schwer eine Sekretärin zu finden, die mit Tabulatoren, Spalten und Tabellen richtig umgehen kann und den von der alten Schreibmaschine gewohnten Griff zur Leertaste überwinden konnte. So ist dann auch in anderen Bereichen nicht mehr erstaunlich, dass selbst in geschäftlichen Besprechungen Informationen, die sich zunehmend mehr durch Originalität, Unterhaltungswert oder Bezugslosigkeit auszeichnen, leichtfertig verbreitet werden und kaum einen sinnvollen Beitrag zur Problemlösung leisten. Vor allem bei endlos langen Meetings stellt man immer wieder fest, dass das Detail eine unheimlich wichtige Rolle einnimmt und gerne auch Zitate aus der Boulevardpresse eingebracht werden, die jeglichen Zusammenhang mit dem Thema vermissen lassen.

 

Cogito, ergo sum - der tragende Leitsatz von René Descartes - scheint in einer Welt von politischen und wirtschaftlichen Interessen und der nicht enden wollenden Sucht nach Unterhaltung untergegangen zu sein. Sollte eigentliches Wissen noch immer einer Minderheit vorbehalten sein?

 

Was ist zu tun, wenn die Talkshow plötzlich einen höheren Stellenwert einnimmt als das Fachbuch und Mitarbeiter mit einfachsten Aufgabenstellungen nicht mehr fertig werden? Gibt es eine effektive Lösung, wenn Kunden oder auch die eigenen Manager aus dem Zusammenhang gerissene Informationen falsch anwenden oder sich mit allgemeinen Slogans zufrieden geben? Was kann ein Manager noch tun, wenn tägliche Arbeiten ohne Verständnis, Kreativität und ohne Rücksicht auf bestehende Gesetzmäßigkeiten ausgeführt werden? Gerade Firmenchefs und Führungskräfte sollten sich ernsthaft mit diesen Gedanken beschäftigen. Eine entsprechende Untersuchung bei eigenen Mitarbeitern oder Kunden erscheint durchaus sinnvoll, um die Effektivität des eigenen Unternehmens zu sichern. Die entscheidende Frage ist dann kaum, wie viele Informationen uns in unserer Arbeit täglich zur Verfügung stehen, sondern inwieweit wir in der Lage sind, hieraus logische und vor allem zuverlässige Schlussfolgerungen zu ziehen. In einer Zeit der unkontrollierten Informationsflut ist dies nicht zu unterschätzen. Zu oft werden Kunden und selbst Mitarbeiter mit dieser Flut von Informationen geradezu überhäuft und nur selten wird die Frage aufgeworfen, ob diese Informationen in ihrem Sinn und Wesensgehalt überhaupt verstanden werden. Information ist zur Handelsware geworden und muss als solche auch gehandelt werden. Auch machen Computerprogramme, digitale Organizer oder ein schmuckes Handy noch keinen Manager und ersetzen schon gar nicht eine fundierte Ausbildung. Ganz im Gegenteil, all die kleinen technischen Helfer machen eine umfangreiche Ausbildung notwendiger als je zuvor.

 

Da hilft dann auch kein technisches Aufrüsten, um mehr Qualität im Unternehmen zu erzeugen, denn auch modernste Systeme ersetzen nicht die menschliche Erfahrung und Flexibilität, wenn es um komplexe strategische Entscheidungen geht. Dies bleibt dem Menschen vorbehalten, birgt allerdings auch das Risiko in sich, dass auch der vermeintliche Experte sein Fach nicht beherrscht und damit Mensch und Maschine versagen. Bedingt durch die Not ständig etwas Neues zu berichten und „informativ“ zu sein, zeichnen sich allzu viele der modernen Informationsquellen genau durch das Gegenteil aus, wobei Information und Werbung nur noch schwer zu trennen sind. Meinungen werden dann ganz schnell zu Analysen und finden sich plötzlich als Fakten in geschäftlichen Besprechungen wieder. Ein Beispiel wird uns jeden Tag von den Börsengurus vorgeführt und gerade die Fehleinschätzung des asiatischen und damit auch des thailändischen Marktes hat viele fast an den Rand des Ruins gebracht. Wunschdenken wird verstärkt als Information verkauft und suggeriert, was von jedem Einzelnen zu tun oder zu denken ist. Doch, wie vollständig oder objektiv ist die Information, die uns jeden Tag erreicht? Da war die überaus positive Prognose für den thailändischen Grundstücksmarkt, die von den gleichen Experten nach Einbruch der Wirtschaftskrise ganz einfach ins schlichte Gegenteil verdreht wurde. Der Wunsch etwas Besonderes zu sein mag dann auch die Triebfeder für Mitteilungen sein, die da besagen, dass Thailand sich nun zum Bankenzentrum, Internetzentrum und seit kurzem auch noch zum medizinischen Zentrum Asiens entwickeln wird. Wie soll der normale Bürger solche Mitteilungen bewerten? Da eine solch selektive Berichterstattung von den meisten nicht als solche erkannt wird, entwickeln sich diese Informationen leider schon bald zu einer eigenen Realität. Leichtgläubigkeit und das Prinzip Hoffnung bestimmt dann nicht nur persönliche Entscheidungen, sondern leider auch politische und wirtschaftliche Strategien.

 

Gerade hier in Thailand müssen Führungskräfte daher peinlich genau den Wissensstand der Mitarbeiter untersuchen und entsprechende Maßnahmen einleiten. Dabei sollte man, ohne falsche Scham, bis auf die Grundlagen zurück gehen und selbst Ausbildung in den Grundrechenarten in Erwägung ziehen. Vor allem individuell gestaltete Kurse in logischem Denken oder zum Aufbau von Fähigkeiten zur Verarbeitung von Informationen können das Basiswissen erheblich verbessern. Dies eröffnet auch die Grundlage für eine qualitative Verbesserung täglicher Entscheidungen in einem Unternehmen. Auch ist zu bedenken, dass das thailändische Ausbildungssystem noch immer eine im Grundsatz kasuistische Lernmethode verwendet, bei der eher Einzelfälle, aber nicht logische Zusammenhänge gelernt werden. Die Folge ist in vielen Fällen Unverständnis für neue Situationen und die Bereitschaft jeden verfügbaren Rat ungeprüft anzunehmen - auch dann, wenn dieser noch so verfehlt sein sollte. Fehlende Qualifikation der Mitarbeiter wird von sehr vielen Firmen in Thailand beklagt und doch finden wir sehr wenige darunter, die effektiv gegen diesen Umstand vorgehen. Es ist an der Zeit, dass Führungskräfte die Realität akzeptieren und sich der Notwendigkeit eines firmeneigenen Ausbildungsprogramms nicht weiter verschließen. Dabei wird es kaum ratsam sein das Kursprogramm aus Deutschland oder Amerika zu kopieren, da die dort angewandten Lehrmethoden und die vermittelten Informationen in den wenigsten Fällen den Bedürfnissen der lokalen Mitarbeiter gerecht werden.

 

In einer Informationsgesellschaft müssen Mitarbeiter zuerst mit der Fähigkeit ausgestattet werden, die Informationsflut zu bewältigen und logisch zu verarbeiten. Fehlt der gedankliche Hintergrund oder die erforderliche Denkweise, dann verursachen auch substanzielle Informationen mehr Verwirrung als Hilfe bei der Lösung eines Problems.

 

Testen sie sich selbst und nehmen sie ganz einfach das folgende allseits bekannte und oft zitierte Beispiel:

 

„Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber“ bemerkte Faust, als er folgendes von der Hexe vorgelesen bekam:

 

Du musst verstehn!

Aus Eins mach Zehn,

Und Zwei lass gehn,

Und Drei mach gleich,

So bist du reich.

Verlier die Vier!

Aus Fünf und Sechs,

So sagt die Hex‘,

Mach Sieben und Acht,

So ist‘s vollbracht:

Und Neun ist Eins,

Und Zehn ist keins.

Das ist das Hexeneinmaleins.

 

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