schneeraben.de - Philosophische Reisevorbereitungen von Thomas H. Jäkel

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Das Skriptorium

 

 

Mit Pauken und Trompeten

von Thomas H. Jäkel

 

 

Nicht ganz ohne Stolz ließ die thailändische Zentralbank schon Tage zuvor wissen, dass etwas Wesentliches anstehe, und reihte sich damit in die Stimmung des Landes ein, die mit dem Militärputsch vom 19. September 2006 die politische Landschaft nachhaltig veränderte. Eine „historische“ Maßnahme hätte es nach Meinung der Verantwortlichen werden sollen und in der Tat wird der 19. Dezember 2006 nun als historischer Tag in die Geschichte des Königreichs eingehen. An diesem inzwischen als „schwarzer Dienstag“ bekannten Tag konnten Investoren nicht nur einen dramatischen Zerfall des thailändischen Aktienindexes SET mit einem Verlust von 14,84% und damit geschätzten 800 Milliarden Baht erleben, sondern auch die Korrektur der genannten „historischen“ Maßnahme und all dies innerhalb von 24 Stunden. Der nächste Handelstag sah dann auch prompt einen signifikanten 11,16% Anstieg des SET und eine augenscheinliche Erholung von einem Schock, den viele Investoren spontan als rüdes Blutbad bezeichnet hatten. Hat sich die ganze Angelegenheit damit erledigt und ist es angebracht wieder zur Tagesordnung überzugehen oder sollte der „schwarze Dienstag“ in Thailand mehr offenbaren als einen bedauerlichen Fehler?

 

Der Wirtschaftskrise in 1997 gingen ein ungezügeltes Wachstum und eine Stimmung der Unbesiegbarkeit voraus. Im Gegensatz hierzu zeigen sich die wirtschaftlichen Eckdaten im Jahr 2006 in einem wesentlich besseren Licht und geben ausreichend Anlass zu einer positiven Bewertung des thailändischen Marktes. Dies ist ein Resultat der Erfahrungen, die man während der Wirtschaftskrise nicht nur in Thailand gewonnen hatte und vor allem ist es ein Lernprozess, der sich langsam aber sicher auch hier etabliert hat. Die neu gewonnene Attraktivität führte zusammen mit dem globalen Zerfall des Dollars zu einer signifikanten Aufwertung des thailändischen Baht, der noch einen Tag vor dem „schwarzen Dienstag“ mit einem Stand von 35,06 gegen den Dollar notierte und damit eine Aufwertung von 16% im Vergleich zum Jahresanfang verzeichnete. Das mag für den Euro oder den Dollar noch im grünen Bereich liegen, doch die Probleme einer starken Währung sind in ihren Auswirkungen vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern wohl bekannt und so stand die neue thailändische Militärregierung unter intensivem Druck lokaler Firmen, die ihre Interessen durch die starke Währung gefährdet sahen.

 

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die thailändische Zentralbank nach geeigneten Maßnahmen suchte, die eine weitere Stärkung des thailändischen Baht verhindern sollten. Anlass für die Dringlichkeit einer solchen Maßnahme war nicht zuletzt der Anstieg des kurzfristigen Kapitalzuflusses von 300 Millionen Dollar im November auf 950 Millionen Dollar im Dezember. Damit steht Thailand jedoch nicht alleine und die meisten Länder der Region sehen sich mit einer Aufwertung ihrer lokalen Währungen und damit mit erheblichen Wettbewerbsproblemen konfrontiert. Die Maßnahme der Wahl ist jedoch üblicherweise eine entsprechende Anpassung des Zinsniveaus. Warum also wählte man hier in Thailand entgegen der normalen und durchaus erprobten Praxis eine drakonische Beschränkung des Devisenhandels, welche vorsah, dass ausländische Investoren bei Beträgen über 20.000 US$ einen Anteil von 30% in lokalen Finanzinstituten parken müssen, wobei dieser Betrag erst nach Ablauf eines Jahres wieder freigegeben wird. Eine vorzeitige Rückführung solcher Beträge sah entsprechende Strafen vor. Anders als eine schrittweise Anpassung des Zinsniveaus, wie wir dies von Alan Greenspan kennen, führte die „historische“ Maßnahme der thailändischen Zentralbank dann unvermeidlich zu einem Zusammenbruch des Aktienmarktes.

 

Die Frage stellt sich, ob diese Marktreaktion für die thailändische Zentralbank nicht absehbar war und welche Überlegungen dazu geführt hatten, einer Beschränkung des Marktes den Vorzug zu geben. Finanzpolitische Betrachtungen führen bei der Beantwortung dieser Frage jedoch kaum zu befriedigenden Lösungen und man darf vermuten, dass die eigentlichen Gründe in anderen Bereichen zu finden sind. Es wäre aber sicherlich auch zu einfach eine solch einschneidende Maßnahme nur mit Naivität zu erklären, da die Verantwortlichen der thailändischen Zentralbank durchaus über die notwendige Erfahrung verfügen, um mit einer so normalen Situation, wie der Aufwertung der Währung, umzugehen. Mehr Aufschluss bietet aber eine langfristige und sensible Betrachtung der thailändischen Denkweise und vor allem die Motive, welche das thailändische Handeln immer wieder beeinflussen. Dabei wird einerseits schnell klar, dass sowohl drakonische und einschneidende Maßnahmen keine Seltenheit sind und andererseits, dass die nachträgliche Anpassung oder gar Rücknahme von Entscheidungen nicht der Ausnahmefall sind. Dies ist vor allem für ausländische Betrachter oft unverständlich, da sich Thailand gerade durch ein ausgeprägtes „Laissez-faire“ oder wie man hier sagt „mai pen arai“ auszeichnet. Viele wirtschaftliche, politische oder soziale Entwicklungen werden zwar durchaus gesehen, doch fehlt es immer wieder an den zeitgerechten und vor allem kontinuierlichen Maßnahmen, um diesen Entwicklungen effektiv zu begegnen. Es ist ein essenzieller Teil thailändischer Denk- und Lebensart die Dinge zunächst zu betrachten und nicht vorschnell oder gar aus Prinzip zu handeln. Wird die Situation jedoch schlimmer und zeigt sich Gefahr im Verzug, dann beweist man in Thailand eher selten Geduld oder Übersicht und versucht stattdessen die Welt in einem Tag zu ändern. Der Militärputsch im September 2006 kann im Hinblick auf die damals bereits für das Jahresende anberaumten Neuwahlen kaum anders gesehen werden, denn die Furcht vor einer Wiederwahl des damaligen Premierministers Thaksin Shinawatra war Grund genug dafür, den demokratischen Prozess einfach außer Kraft zu setzen und über Nacht vollendete Tatsachen zu schaffen. So wurde zum Beispiel auch nach Jahrzehnten halbherziger Maßnahmen plötzlich ein wahrer Feldzug gegen den Drogenhandel geführt, der sich in seiner Folge mehr als blutig erwies und heute nicht mehr existent ist.

 

Darüber hinaus sind Thailänder aber ein überaus stolzes Volk und besonders wird immer wieder hervorgehoben, dass Thailand nie eine Kolonie gewesen ist und sich vor allem durch diplomatische Methoden immer wieder seine Freiheit gesichert hatte. Im Laufe der Jahrhunderte scheint dieser Stolz jedoch auch eine gewisse neurotische Komponente gegenüber allem Ausländischen erzeugt zu haben. So war es nicht verwunderlich, dass sich der Widerstand gegen den inzwischen gestürzten früheren Premierminister Thaksin Shinawatra erst dann zu einem Buschfeuer entwickelte, als dieser seine Firma AIS ausgerechnet an Temasek aus Singapur verkaufte und damit nach Ansicht vieler im Lande Hochverrat betrieben hatte. Vorwürfe wie Bestechlichkeit, Arroganz und Missbrauch der Amtsgewalt konnten das Fass alleine nicht zum Überlaufen bringen. Vor diesem Hintergrund ist es wiederum verständlich, dass dem dominanten Auftreten ausländischer Supermärkte wie zum Beispiel TESCO nicht durch eine Stärkung der lokalen Firmen begegnet wurde, sondern mit der Idee, dass man die Wettbewerbsfähigkeit der ausländischen Firmen ganz einfach gesetzlich einschränken sollte.

 

Nun kann man sagen, dass all dies ein natürlicher Anpassungsprozess an die fortschreitende Globalisierung und die damit verbundenen Änderungen in der eigenen Gesellschaft sind. Doch Thailänder scheinen langfristigen Maßnahmen und der eigenen Leistungsfähigkeit nicht sehr viel Vertrauen entgegen zu bringen und die Angst vor ausländischem Einfluss oder gar schlimmeren Folgen zieht sich elementar durch die Denkweise und das politische Handeln. So war die jetzige Entscheidung der Zentralbank nicht unbedingt verwunderlich, denn nur eine solche Einschränkung kann ausländische Spekulanten endgültig davon abhalten, der eigenen Wirtschaft Schaden zuzufügen. Alle anderen Maßnahmen lassen immer noch Raum für trickreiche Finanzgeschäfte und bieten daher keineswegs eine endgültige Lösung des Problems. Der Vorwurf der Naivität ist daher nur insoweit gerechtfertigt, als man bei den Verantwortlichen wohl davon ausging, dass die ausländischen Investoren eine solche Einschränkung auch noch gerne hinnehmen würden. Aber auch dies ist eine thailändische Eigenart, die es nur in ganz seltenen Fällen zulässt, die Welt mit einer akzeptablen Objektivität zu sehen. So waren die Stellungnahmen nach Verkündung der „historischen“ Maßnahme im Rundfunk und Fernsehen stark von dem Argument geprägt, dass Thailand ein so guter und beliebter Markt sei, dass sich kaum ein Investor von dieser Maßnahme abschrecken lassen werde. Eine Meinung, die sich als grundlegend weltfremd erweisen sollte.

 

Von außen betrachtet zeigt sich dieser „Zwischenfall“ nach Ansicht vieler Analysten als ein naives und befremdendes Verhalten und die prompte Rücknahme der „historischen“ Maßnahme eher als peinlicher Gesichtsverlust der Zentralbank und der thailändischen Regierung als Ganzes. Auch bleibt natürlich die Frage offen, wer im thailändischen System letztlich die Entscheidungen trifft und wie zuverlässig der thailändische Markt überhaupt ist. All dies sind berechtigte Fragen und Überlegungen, die man sich als Investor zur stellen hat.

 

Von innen betrachtet stellt sich dieser „Zwischenfall” jedoch eher als „normal“ dar und unterstreicht nur die Schwierigkeiten eines vergleichbar kleinen Landes sich im globalen Wettbewerb zu behaupten, sich eine eigene Zukunft aufzubauen und dabei nicht unter die Räder der Globalisierung zu geraten. Dr. Mahatir drückte dies als Premierminister von Malaysia einst so aus, dass Investoren wie George Soros mit ihrer schieren Finanzmacht das hart erarbeitete Geld eines Schwellenlandes zerstören und zur Verarmung dieser Länder beitragen können. Und genau darin liegt der Grund für manch unverständliche Marktbeschränkung: es ist die pure Angst, diesem Feind nicht gewachsen zu sein. Dabei muss sich ein Land wie Thailand natürlich in eine seltsame Liebesaffaire begeben, denn ohne ausländisches Kapital lässt sich auch die Entwicklung des Landes nicht weiter betreiben. Aber letztlich hat man auch in Thailand erkannt, dass man den professionellen Geschäftspraktiken und vor allem dem unglaublichen Finanzvolumen ausländischer Investoren einfach nicht gewachsen ist. In dieser Situation die politische Balance zu finden mag für eine unerfahrene Militärregierung auch eine allzu komplexe Aufgabe gewesen sein und eine engstirnige Sicht der nationalen Interessen hatte daher die Oberhand gewonnen.

 

Es wird also noch einige Zeit dauern bis Länder wie Thailand sich entsprechend entwickelt haben, sich gleichwertig fühlen und letztlich auch wie selbstbewusste und verlässliche Partner in diesem globalen Markt agieren. Eine Ansteckungsgefahr wie in 1997 sollte im Grunde nicht bestehen, da die heftige Marktreaktion anderen Ländern eher das Gegenteil empfehlen wird. Es wird aber auch die gleiche Zeit in Anspruch nehmen bis Investoren verstehen, dass kurzfristige Profite in der Tat zwar Profite sind, die auf lange Sicht jedoch ganze Märkte schwächen und zerstören können. Thailand wird seinerseits noch einige Zeit mit der selbst verschuldeten Unsicherheit und dem Vertrauensverlust leben und sich sowohl als Demokratie wie als verantwortlicher und verlässlicher Partner bewähren müssen. Letztlich neigt unsere moderne Medienwelt jedoch dazu solche „Zwischenfälle“ recht schnell zu den Akten zu legen und Investoren werden sich schon bald wieder den Marktdaten und Analysen zuwenden. Dennoch sollte dieser „Zwischenfall” aber auch eine nachhaltige Mahnung für alle institutionellen und privaten Investoren sein, dass „emerging markets“ anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, unberechenbarer und daher anfälliger und unbeständiger sind als andere Wirtschaftsräume. Vielleicht ist es aber auch ein ausreichender Anlass die Vorgänge um den „schwarzen Dienstag“ als Plädoyer für Zusammenarbeit, gemeinsamen Erfolg und gegenseitiges Verständnis zu erkennen – zumindest wäre das ein wichtiger Schritt in Richtung einer sozial-verträglichen Globalisierung in der auch die Neulinge eine faire Chance haben.